Eine etwas andere Nachbetrachtung in persönlichen Statements der Jury Film „Publishing + Spatial Experience“ auf das ADC-Festival 2021
„The same procedure as last year?“ fragt der schwer angetrunkene James. „The same procedure as every year“ antwortet Miss Sophie. Mit einem Augenzwinkern und einem nonchalanten „Well, I’ll do my very best“ quittiert, folgt James ihr in die oberen Räumlichkeiten. So endet Jahr für Jahr zur Weihnachtszeit die Geschichte vom „Dinner for One“. Und genau so haben sich auch die 435 Juror*innen des ADC-Festival 2021 gefühlt und sind dem ADC im Jahr 2 der Corona-Pandemie wieder ins Homeoffice gefolgt.
„Superkraft Kreativität – findet immer einen Weg“
Unter dem Festival-Motto „Superkraft Kreativität – findet immer einen Weg“ tagten 29 Jurys des Art Directors Club für Deutschland e.V. zum zweiten Mal ausschließlich virtuell via Zoom-Meeting. Per Homevoting wurden die besten kreativen Arbeiten Deutschlands bewertet, Homejubel gab es für besonders geniale Highlights und im Anschluss an jede Sitzung das obligatorische Homedrinking im Homeoffice. Alle Jurys gaben wirklich ihr Bestes, verbunden mit der stillen Hoffnung, dass das ADC Festival 2022 endlich wieder unter normalen, analogen Umständen stattfinden wird.
Wir beurteilten in der Film-Jury „Publishing + Spital Experience“ – dessen Juryvorsitz ich auch dieses Jahr übernehmen durfte – vom Music-Video über Unternehmens- und Point of Sale-Filme auch die Semester-, Abschluss- und Praxisarbeiten des „ADC Talent Award“. Wie im letzten Jahr gab es einen „Vor-Voting-Prozess“, in dem alle Filme vorab online für die Shortlist beurteilt werden konnten. So hatten alle Juror*innen am Jurytag eine gute Übersicht über alle Arbeiten.
Juryarbeit ADC-Festival 2021: Immer sachlich, immer fair, aber auch mit klarer Kante.
„Nach der ersten Sichtung der eingereichten Arbeiten und Erstellung einer ersten, persönlichen Shortlist, war ich doch etwas ernüchtert ob der Anzahl der Einreichungen und deren Qualität – die Semesterarbeiten hier klar ausgenommen –, und hatte mich auf einen überschaubaren Jurytag eingestellt. Umso mehr habe ich mich gefreut, als dann die Stunden verstrichen und die Diskussionen immer angeregter wurden. Immer sachlich, immer fair, aber auch mit klarer Kante. Hat großen Spaß gemacht. Und was ich gerne noch mal besonders hervorheben möchte: Herausragend, was wir trotz Pandemie-Jahr an Nachwuchs-Semesterarbeiten sehen und beurteilen durften. Vielleicht sollte man auch beim Nachwuchs noch mal über die Kategorien nachdenken, um Arbeiten jenseits der klassischen Filmhochschulen etwas mehr Freiraum zu geben.“ – Philipp Schmalriede
Stellvertretend für alle tollen Arbeiten aus dem „ADC Talent Award“ vier Arbeiten, die unsere Jury begeisterten:
„Kokoro zieht uns visuell direkt in seinen Bann.“
„Ein gesellschaftskritischer Kunstfilm, der das Streben nach Social-Media-Fame in Form einer perfiden Dystopie darstellt. In einer aus Porzellan geschaffenen Welt kämpfen Menschen um den Thron des Social-Media-Olymps. Um im Social-Media-Ranking aufzusteigen, muss das Herz aus der Brust der Konkurrenz gerissen werden. Das menschliche Herz als Metapher eines Instagram-Likes wird hier zum Sinnbild rücksichtslosen Handelns. Der Film besticht durch sein Design und seine Gestaltung. Das ist visueller Zeitgeist. Kleine Details und versteckte Symbole lassen den Betrachter an dieser Arbeit immer wieder Neues entdecken, neue Ebenen erschließen sich. In Kombination mit seinem technoiden Soundtrack geht das unter die Haut und bewegt nachhaltig.“ – Sebastian Oehme & Jacques Pense
„Bei „Weird Search Requests“ stimmt alles.“
Ein schlaues Konzept, eine filmische Umsetzung auf einem Niveau, das Arbeiten aus der Praxis locker in den Schatten stellt und die Liebe in den Details. Vom Casting über den Text bis hin zur Animation der Super-Einblendungen am Ende. Alles ist perfekt. Und auf den Punkt. Eine Arbeit, für die man unzählige Bäume pflanzen will. Oder eben Nägel.“ – Sebastian Oehme
Handwerklich mit sehr viel Liebe zum Detail
„Ihr habt diese Arbeit noch nicht gesehen, dann solltet Ihr das jetzt tun. Handwerklich mit sehr viel Liebe zum Detail gestaltet. Jede Szene ist eine Idee für sich. Und führt uns am Ende zur brutalen Erkenntnis: „At least it was made with love.“ Leider umsonst. Umsonst? Ja, genau. Denn uns wird mit schönen Bildern eine deutliche Konsumkritik untergejubelt. Unsere Gesellschaft produziert tagtäglich mit viel Aufwand Dinge, Sachen, Produkte, die letztendlich auf dem Müll landen. Das bleibt hängen.“ – Tim Jacobs
Eine unerträgliche Kakofonie der Gefühle
„Der Film entführt uns in die Welt zweier taubstummer Kinder und ihrer besonderen sensiblen Wahrnehmung. Denn ihre Welt ist nicht still, sondern sehr feinfühlend und wahrnehmend gerade gegenüber körpersprachlicher Aggression und von Gewalt geprägten Emotionen, die als unerträgliche Kakofonie der Gefühle regelrecht körperlich erlitten werden. Als Vertreter einer unberührbaren Welt halten sie uns den Spiegel vor und erinnern uns daran, den Umgang miteinander gründlich zu überdenken. Dieser in feinen und poetischen Bildern erzählte Film bricht eine Lanze für eine Welt, die sich der aggressiven Kakofonie in der sie lebt, endlich bewusst wird und wieder zurückfindet zu einem Umgang, der von Empathie und Rücksicht geprägt ist. Seine Botschaft ist: Lernt einander wieder besser zu verstehen, indem ihr respektvoller miteinander kommuniziert.“ – Nicolai Karo
Drei Arbeiten aus dem regulären ADC-Festival 2021 Wettbewerb, die uns auch sehr begeistert, amüsiert und inspiriert haben:
„Alter, das kann sich keiner ausdenken.“
„Alter, das kann sich keiner ausdenken. Da gibt’s in Bremen so ein Musiklabel. Allein der Name! Erotik Toy Records. Und dann machen die einen Film über ihr Label. Ziehen das auf als Doku, in der sie sich als rappende Jugendbande der frühen 90er inszenieren. Komplett mit Jeansjacke, Hansa Pils und Stress mit der Freundin. Aber es kommt noch dicker: Die reichen das als Unternehmensfilm beim ADC-Festival 2021 ein. Als Unternehmensfilm! Und dann gewinnen die noch, die ollen Rabauken. Da wird doch der Hund in der Pfanne verrückt.“ – Folker Wrage
„Freigeist filmen mit Passion“
„This is really the NEXT Level of film! Freigeist filmen und das mit all dieser Passion, dem perfekten Timing und in einer Contentfülle, die einen einfach nur staunen lässt. Respekt an BMW, so loszulassen und als Marke einen großen NEXT Schritt zu gehen. Auf dass viele diese Filme sehen und irgendwann auch den iNext.“ – Marko Zawadzki
Wabert zwischen Kunst und Kommerz
Mir persönlich hat ein Film besonders gut gefallen bei ADC-Festival 2021: die Unternehmensdarstellung „Art/Work for Music“ von Rocket & Wink. Dieser Film sprüht vor kreativer Energie. Wabert dabei zwischen Kunst und Kommerz hin und her. Und feiert lässig das Design von Plattencovern und Plakaten. Der kreative Wahnsinn, verpackt in einen Unternehmensfilm. Muss man auch erst mal schaffen.
Zum Schluss ein persönliches Fazit von Tim zu unserer Jurysitzung:
„Es ist lange her, dass ich so stolz war, Teil des Deutschen ADC zu sein. Denn ich war Teil einer Gruppe von kreativen Menschen unterschiedlichster Art, die Kreativität lieben und dies über Stunden wieder und wieder in unserer Jury vorgelebt haben. Ich durfte Teil von Diskussionen sein, die Runde für Runde ungesehene, teils geniale Details in den Arbeiten hervor gearbeitet haben und die mir die Augen geöffnet, mein Herz bewegt und ab und zu Entscheidungen zu Recht hat revidieren lassen. Jede Auszeichnung ist durch dieses Feuer der Leidenschaft gegangen und damit etwas ganz Besonderes. Für mich persönlich war dies keine Jury. Nein. Es war ein Seminar über Film und Kreativität, welches man so nicht kaufen kann.“ – Tim Jacobs
Danke an das ganze ADC-Festival 2021 Team für die tolle und reibungslose Organisation. Wir freuen uns alle auf ein hoffentlich wieder analoges ADC-Festival 2022!
Ein herzlicher Dank an unsere Juryassistenz Peggy Bienert. Und an meine Jurykolleg*innen: Folker F. Wrage, Tim Jacobs, Nikolai Karo, Tobias Kollmann, Harald Linsenmeier, Sebastian Oehme, Henning Patzner, Jacques Pense, Philipp Schmalriede, Julia Stackmann, Niels van Hoek, Florian Weber, Marko Zawadzki
Titelbild: Screenshot | Carsten Bolk
Schreibe einen Kommentar