Wir scheinen ohne es zu merken in einer riesigen Datenwolke – einer echten Matrix zu leben. Die Geheimdienste der Welt scheinen jede Mail mitzulesen, um Terroristen zu identifizieren und Sicherheitslücken zu schließen. Kentucky Fried Chicken optimiert seine Hähnchenpanade mit Hilfe von Essensreste-Data in ausgewählten Filialen. Samsung sammelte Online die Kritik von Apple-Jüngern am iPhone und optimierte daraufhin die Bildschirmgröße – mit nachvollziehbarem Erfolg. Der Versandhändler Otto erstellt mithilfe Big Data unendlich viele Prognosen für sein Sortiment und optimiert damit seine Ordermengen.
Ob Wettervorhersage, Verkehrsprognosen oder Dienstleistung: Big Data, also die Verknüpfung von riesigen, unstrukturierten Datenmengen, die täglich in Unternehmen und im Internet produziert werden, greift in unsere Wirtschaft und unser Leben ein. Big Data liefert zunehmend auch neue Ansätze für Marketingverantwortliche:
Smartphones, Kameras, Spielekonsolen und Navigationssysteme sammeln schließlich eine Menge Daten ihrer Nutzer. Facebook, Google oder Amazon besitzen einen explosionsartig wachsenden Datenpool – von Sucheingaben und Stimmungsmeldungen bis hin zu Joggingzeiten – der, verknüpft man ihn mit den Informationen verschiedener anderer Quellen, Erkenntnisse liefern soll, um Marketingbudgets zu optimieren oder neue Produkte und Dienstleistungen anzubieten.
Der Hype um Big Data erinnert ein wenig an die Suche der Alchimisten nach dem Stein der Weisen. Big Data verkörpert sozusagen die Universalmedizin, die aus „unedlen“ Zutaten gewonnen wird und den zunehmenden Effizienzverlust klassischer Marketingmethoden stoppen soll: Kollektiv scheint das Ziel ausgerufen worden zu sein, mit noch mehr Informationen, noch mehr Quellen und mittels Informationstechnik und Mathematik die Datenmassen in einen universellen neuen Rohstoff für das Marketing zu verwandeln.
Mit einer interessanten Frage provoziert die FAS (Die vereinigten Daten, 14.7., S. 37) im Zusammenhang mit der Datensammelwut der Geheimdienste: Je gigantischer die Menge der Daten werde, desto unglaublicher sei es, dass die Inhalte wirklich interessieren. Denn bei soviel Daten bestehe tatsächlich die Gefahr, dass man unendlich viel Zeit und Ressourcen investiere, und der Benefit gleich Null sei.
Und auch aus der Wirtschaft hört man kritische Töne zum Umgang mit Big Data: »Wir schätzen, dass sich die Menge der Daten, die innerhalb eines Jahres erstellt, vervielfältigt und konsumiert werden, bis 2020 alle zwei Jahre verdoppelt«, heißt es bei der Unternehmensberatungsfirma IDC. Bloß meldet dieselbe Firma auch: Von all diesen Daten würden eigentlich bloß ein paar Prozent nutzbringend ausgewertet. Der Rest lande als Datenmüll in den Archiven – oder werde bald wieder gelöscht.“ (via Zeit).
Daher gibt es bereits erste kreative Lösungsangebote für den Umgang mit den Datenmengen. Kaggle ist eine Megaauschreibungsplattform für Big Data Statistiker und Mathematiker. Unternehmen, Firmen und Organisationen können auf der Website von Kaggle eine Art Ausschreibung starten: Sie sagen, was ihr Problem ist und liefern die Daten dazu, sie gesammelt haben und ca. 45.000 registrierte Datendetektive machen sich darüber her, um das Problem zu lösen. „Wir machen die Erfahrung, dass Physiker und Elektroingenieure (dabei) am besten abschneiden, und zwar solche mit einem gewissen Schuss Common Sense.“ (Goldbloom, via Zeit)
Dieser Common Sense aber genau ist es, der nicht durch Algorithmen lösbar ist und der auch die Grenzen von Big Data aufzeigt. Daten und Profile verraten nur, wer die Menschen sind, nicht, wer sie sein wollen.
Weil der Mensch in seinen Entscheidungen so frei ist, dass immer wieder ungewöhnliches und überraschendes passiert. Daher stößt Prognostik immer an Grenzen. Da können Big Data Fans behaupten, was sie wollen.
(Informatiker Johannes Buchmann, Brand eins, Heft 8, August 2013)
Politik zum Beispiel, so provoziert die FAS noch einmal, die mehr sein wolle, als das Management herrschender Verhältnisse, solle es daher eher darauf anlegen, die Träume der Menschen abzuhören. Man mag ergänzen: Marken, die mehr sein wollen als das Spiegelbild von Status- und Stimmungs-Meldungen auf Facebook, kommen ebenfalls nicht darum herum, sich mit den dahinter liegenden Motivationen, Träumen und Verfassungen ihrer Zielgruppen zu beschäftigen. Denn Big Data registriert nur das „Was“ die Menschen tun oder getan haben. Die für Marketingverantwortliche entscheidende Frage nach dem „Warum“ kann ein Algorithmus aber nicht beantworten.
Man hat da so eine mystische Vorstellung, wenn man keine Mathematik kann. Aber so schlau ist das nicht…Wenn Sie sich jetzt für ein neues Handy interessieren, dann surfen sie acht Wochen lang nach Handys. Aber wenn Sie es sich dann kaufen, haben Sie kein Interesse mehr. Das sind so ganz abrupte Brüche im Benehmensprofil, mathematisch macht das beliebige Schwierigkeiten. Man wird nie wirklich den Menschen vorhersehen können, weil er sich nicht so konsistent benimmt. Weil diese ganzen Sonderausnahmen drin sind. Deshalb grinse ich immer nur und sehe den Wissenschaftlern zu. Günther Dueck
Big Data wird fester Bestandteil für die Effizienzsteigerung im Marketing werden. Für das „Full Picture“, inklusive einem tiefgreifenden Verständnis auch für zukünftiges Verhalten von Menschen bedarf es aber zusätzlich einer Menge „Common Sense“ – und tiefgreifender Menschenkenntnis.
Weiterführende Links:
Ein spannendes Interview zum Thema mit Klaas Willhelm Bollhöfer (@klabol), einem sehr engagierten Data Scientist mit einer Menge Common Sense bei The unbelievable Machine Company gibt’s in der Kreativwirtschaft.
Ein Erklärbär-Video zum Thema Big Data hat die Telekom bereitgestellt:
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